Haushaltsdebatte in der BVV: „Zeigen Sie Haltung!“

Die Bezirksverordneten, erklärte Regisseur Jens Becker, der als Sprecher des Aktionsbündnisses Berliner Künstler auf der BVV-Tagung Rederecht erhalten hatte, befinden sich in einem klassischen Dilemma. Egal, wie sie sich entscheiden – sie laden Schuld auf sich: Heben sie die Hand für den Haushaltsentwurf, würden sie die den Niedergang der Kultur in Pankow zu verantworten haben, heben sie die Hand nicht, gäbe es keinen Haushalt und alles würde zusammenbrechen. Aber: “Manches muss zusammenbrechen, damit Neues entstehen kann.” An die Bezirksverordneten appellierte Becker: “Zeigen Sie Haltung!” Er beendete seine Rede mit den Worten: “Wir sind das Volk. Und Sie sind die Volksvertreter.”

Jens Becker: ''Zeigen Sie Haltung!''

Geschlagene zwei Stunden mussten die über 100 Gäste im immer stickiger werdenden BVV-Saal ausharren, bis endlich die erste Lesung des Haushaltsentwurfes des Bezirksamtes aufgerufen wurde – jenes dickleibige Werk aus Zahlen und Tabellen, in dem all die Kürzungen eingetragen sind, gegen die zuvor gut zweihundert Demonstranten auf dem Gelände an der Fröbelstraße lautstark protestierten.

Pankows Bürgermeister Matthias Köhne, der zugleich auch der Finanzchef des Bezirkes ist, erklärte dann die derzeitige Situation als beispiellos: Über Monate hinweg kein Landeshaushalt und kein gültiger Bezirkshaushalt – das hätte es so noch nicht gegeben. Schon Mitte vergangenen Jahres

Bezirksbürgermeister Matthias Köhne:
''Blutige Haushaltsverhandlungen''

habe man geahnt, dass es „blutige Haushaltsverhandlungen“ geben werde. Aber es sei noch schlimmer gekommen, als man es zuvor vermutet hatte. Und so sei es trotz der Aufgabe zweier Seniorenfreizeitstätten und der Gartenarbeitsschule Pankow , die unmittelbar nach der Beschlussfassung geschlossen werden (siehe Download unten), nicht gelungen, einen ausgeglichenen Haushaltsentwurf zu erstellen. Immerhin seien aber die Honorarkürzungen für die Dozenten der Volkshochschule, der Musikschule und der und der Jugendkunstschule Pankow vom Tisch.
Verärgert zeigte sich Matthias Köhne über die Berichterstattung einiger Medien, die meinten, die Bezirke im allgemeinen und Pankow im besonderen könnten nicht wirtschaften und sollten froh sein, dass ihnen der Senat

Klaus Lemmnitz: ''Das systematische Aushungern der Bezirke muss ein Ende haben''

50 Millionen Euro zusätzlich bewilligt habe. Wenn man den Bezirken über 110 Millionen Euro wegnehme und ihnen nur fünfzig Millionen zurückgebe, so Köhne, seien das keine zusätzlichen Mittel.

Klaus Lemmnitz vom Verein Pro Kiez, dessen Mitglieder die Kurt-Tucholsky-Bibliothek ehrenamtlich betreiben, fand den von Bürgermeister Matthias Köhne gebrauchten Ausdruck “Blutige Haushaltsverhandlungen” unpassend: “Wir sind gewaltfrei”. Er berichtete von den zahlreichen Solidaritätsbekundungen, die seinen Verein erreichten, seit von der drohenden Schließung der Bibliothek berichtet wurde. Einig sei er sich mit der Bezirkspolitik darüber, dass das systematische Aushungern der Bezirke” ein Ende haben muss.

Stadtrat Torsten Kühne: ''Eingeschränkter Normalbetrieb''

Kulturstadtrat Torsten Kühne kündigte auf Grund des nunmehr vorliegenden Haushaltsentwurfes das Ende des Notbetriebes der kommunalen Kultureinrichtungen an und versprach einen „eingeschränkten Normalbetrieb“. So sollen für die Einrichtungen im Thälmannpark 80.000 Euro für Veranstaltungen zu Verfügung stehen – rund zwanzig Prozent weniger als im Vorjahr.
Eine Zukunft als kommunal geführte Kulturinsel hat das Areal an der Danziger Straße nach Meinung von Torsten Kühne allerdings nicht. Vielmehr sollten freie Träger zum Zuge kommen, denkbar wäre auch ein Treuhandmodell oder eine Stiftung.

Michael van der Meer: ''Schließungen rechtlich bedenklich''

Der SPD-Bezirksverordnete Klaus Mindrup erinnerte die Anwesenden daran, das noch kein Haushaltsentwurf die BVV „so verlassen habe, wie er hereingekommen ist.“ Er verwies auf die Veränderungen, die es beim letzten Haushalt zugunsten der Kultur gegeben hatte.
Michael van der Meer von der Linksfraktion zeigte sich verwundert über den Beschlussentwurf zur Schließung der zwei Senioreneinrichtungen und der Gartenschule (siehe Download). Normalerweise gehe einer Schließung eine Evaliation voraus. Das Vorgehen des Bezirksamtes in diesen Gällen hielt er für „rechtlich bedenklich“.
Der gleichen Ansicht war auch Dieter Stenger, der Haushaltsexperte der CDU Fraktion. Außerdem appelierte er an Bezirksamt und BVV, nicht „immer nur an der Kultur zu sparen“.
Der Fraktionvorsitzende der CDU Johannes Kraft rief die Bezirksverordneten dazu auf, bei den Pankower Mandatsträgern ihrer Parteien im Abgeordnetenhaus vorstellig zu werden, um mehr Mittel vom Land zu erwirken: „Pankower Gruppe im Abgeordnetenhaus ist die größte Gruppe. Der Bezirk braucht mehr Geld. Der Haushaltsentwurf kann nicht so bleiben.“

 

© Fotos: Dirk Grabowski (4), ODK (2)

 

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