SPD Pankow: Mehrheit für Stöß – Abrechnung mit Müller

stößDas Abstimmungsergebnis war dann doch knapper, als es die Vehemenz der vorgetragenen Vorwürfe an den Berliner SPD-Vorsitzenden Michael Müller vermuten ließen. Immerhin noch 39 Delegierte der Pankower SPD-Kreisdelegierten- versammlung (KDV) stimmten für den amtierenden Parteichef – sein Herausforderer Jan Stöß konnte 46 Stimmen für sich verbuchen.
Seit der Friedrichshain-Kreuzberger SPD-Vorsitzende Jan Stöß seine Ambitionen auf den Berliner Parteivorsitz öffentlich kund getan hatte, ziehen die beiden Kontrahenten in einer Art Wahlkampftour durch die Berliner Bezirksorganisationen.
Am Samstag war nun Pankow an der Reihe. 2:2 stand es

zu diesem Zeitpunkt: Die Kreisdelegierten von Charlottenburg-Wilmersdorf hatten ebenso wie zuvor schon jene in Steglitz-Zehlendorf mit großer Mehrheit für Müller gestimmt – Stöß konnte den Bezirk Mitte für sich gewinnen und Reinickendorf – letztere hatten Müller nicht einmal mehr nominiert.

Nun also Pankow.

„Wir haben den besten Regierende Bürgermeister seit Willy Brandt“, beteuerte Jan Stöß, der als erster der beiden Kontrahenten in die Bütt stieg. Doch in Berlin regiere man mit der CDU zusammen, jener Partei also, die die SPD im kommenden Jahr im Bund ablösen will. Er kandidiere,

damit es eine „SPD pur“ gibt, denn die Bürger hätten ein Anrecht darauf zu wissen, wofür die Partei stehe.

Kurz danach dann ein Seitenhieb in Richtung des „Besten seit Brandt“: Wie könne die SPD bei Unternehmen glaubhaft für einen Mindestlohn von 8,50 Euro eintreten, wenn die eigenen Senatsmitglieder Langzeitarbeitslosen in öffentlichen Beschäftigungsmaßnahmen nur einen Euro weniger zubilligen wollen?

Kritik übte Stöß auch an der rigorosen Abgrenzung zu Grünen im vergangenen Landeswahlkampf.

Die geplante Teilausschreibung von S-Bahn-Strecken hielt er für nicht vereinbar mit sozialdemokratischer Politik: Man könne nicht glaubwürdig einer Rekommunalisierung von Bereichen der öffentlichen Daseinsfürsorge das Wort reden und gleichzeitig den S-Bahn-Betrieb an private Anbieter abgeben. Bevor man vom Zurückholen ehemals kommunaler Bereiche spreche, sollte man erst einmal mit dem Privatisieren aufhören.
Dass städtische Wohnungsbaugesellschaften Mieten oberhalb der Mietspiegelgrenzen verlangen, sei nicht tragbar und müsse geändert werden. Jan Stöß: „Wir wollen nicht wissen, warum etwas nicht geht – wir wollen wissen, wie es geht.“

 
Der amtierende Parteichef Michael Müller machte in einer für seine Verhältnisse überaus temperamentvollen Rede klar, dass die überraschende Abstimmungsniederlage in Mitte für ihn kein Grund zum Aufgeben sei: „Jetzt erst recht!“
Müller erklärte, dass die Personalunion von Parteivorsitz und Senatorenamt durchaus von Vorteil sei – so habe er auch mit der Autorität des Parteichefs beim (parteilosen, aber auf SPD-Ticket im Senat sitzenden – ODK) Finanzsenator eine neue Liegenschaftspolitik durchsetzen können.
Was „SPD pur“ betreffe: So lange die SPD kein Wahlergebnis über fünfzig Prozent einfahre, muss sie auch Kompromisse

eingehen. Michael Müller: “Wir alle haben den Koalitions-
vertrag unterschrieben.” Bei der Mietenpolitik räumte er Versäumnisse ein: “Da ist Zeit vertrödelt worden”. Doch nun werde neben der neuen Liegenschaftspolitik auch ein Bündnis für soziale Wohnungspolitik begründet werden.
Bei der Entwicklung von Grundstücken wie jenem des ehemaligen Rangierbahnhofs Pankow setze er sich ein, damit das bestmögliche Ergebnis erreicht werden könne und kam fast ins Schwärmen ob der Möglichkeiten, dort Wohnungen, einen Park, eine Schule errichten zu lassen.
Die scharfe Abgrenzung zu den Bündnisgrünen verteidigte der SPD-Chef leidenschaftlich – sie seien ein politischer Gegner

und darüber hinaus die neuen Neoliberalen. Die Grünen stünden für Privatisierung, während die SPD – und natürlich auch er selbst – für die Rekommunalisierung von Gas, Wasser und Energie steht.
 
Was dann folgte, hatte etwas von einer Generalabrechnung.
 
In den unterschiedlichsten Tonlagen und Temperamenten – prasselte es auf Klaus Müller ein. Klaus Mindrup, Vorsitzender der SPD-Abteilung 15 und Beisitzer im Landesvorstand, ging Müller lautstark dafür an, dass er sich fünf Jahre lang

Alexander Götz: Fühlte sich vom Parteivorstand ''verarscht''

schützend vor die eine soziale Wohnungspolitik verhin-
dernde Senatorin Ingeborg Junge-Reyer gestellt habe.

Der wiedergewählte Pankower Kreisvorsitzende Alexander Götz fühlte sich von Müller gar jahrelang “verarscht”: Etwa, wenn Pankower Vorschläge zu einer Veränderung der Stadtentwicklungspolitik regelmäßig abgeblockt wurden; wenn der Vorstand Parteitagsbeschlüsse nicht umsetzte oder aber wenn – wie bei der Auseinandersetzung um den Ausbau der A100 – die Parteiführung so lange abstimmen ließ, bis ihr das Ergebnis passte.
Und immer, so Götz, haben er und andere versucht, diese Missstände parteiintern zu klären und nichts an die Öffent-
lichkeit zu tragen – doch geändert habe sich nichts. Nun tue Müller so, als wäre die Aufstellung eines Gegenkandidaten eine Majestätsbeleidigung.

Roland Schröder, Stadtentwicklungsexperte seiner Fraktion in der Pankower Bezirksverordnetenversammlung, erklärte, er könne es nicht ertragen, wenn Müller über die Entwicklung des ehemaligen Pankower Rangierbahnhofs rede – tatsächlich aber von ihm und seiner Verwaltung ein Fortschritt auf dieser Brache blockiert werde.

Roland Schröder: Mussten Mieterschutz gegen die Landespartei durchsetzen

Die Bezirke bluteten aus – aber der Senat plant eine riesige Zentralbibliothek. Und das, was im Bezirk an Mieterschutz erreicht wurde, musste gegen die Landespartei durchge-
setzt werden. Für das Vorgehen bei der S-Bahn gäbe es längst Parteitagsbeschlüsse, die schlicht ignoriert würden.

Auch andere Redner nahmen Bezug auf nicht umgesetzte Parteitagsvoten – etwa den Beschluss, das Wahlalter auf Landesebene auf 16 Jahre abzusenken oder aber jenen zur Rekommunalisierung der Gas- und Energieversorgung.

Dennis Buchner, Abgeordneter und SPD-Abteilungs-
vorsitzender in Weißensee, sah es als problematisch an, dass Michael Müller mittlerweile selbst im Landesvorstand keine Mehrheit mehr hat.

Mattias Köhne: Angst vor einer ''Selbstdemontage'' der SPD

Einen bemerkenswerten Redebeitrag lieferte der Pankower SPD-Bezirksbürgermeister Matthias Köhne.
„Warum“, so fragte er, „war das letzte Wahlergebnis der SPD schlechter als des vorgehende? Lag es am Vorsitzenden? Nein.“ Und woran habe es gelegen, dass die SPD in Hamburg – ebenfalls ein Stadtstaat wie Berlin – die absolute Mehrheit errungen habe? „Was wir hier machen“, so Köhne mit dem Blick auf das Kandidatengerangel, „kommt nicht gut an“. Er fürchte eine Selbstdemontage der Partei. Köhne: „Wir wollen Wahlen mit der SPD gewinnen – nicht in der SPD“.

 

 
Als dann noch einmal Michael Müller das Wort ergriff, war aus dem Angriff eine Verteidigung geworden – allerdings eine mit Vehemenz.
Die S-Bahn-Teilausschreibung sei nötig, weil die Rechtsprechung die Vergabe des Gesamtnetzes nicht zulasse. Der Zugriff auf die Energienetze vorher nicht möglich geweseb, da erst jetzt die Konzessionen ausgeschrieben werden.
Und: Der Berliner SPD-Vorstand hatte eine Untersuchung zum möglichen Wahlverhalten der 16- und 17jährigen vorliegen. Als ihm daraufhin klar wurde, was das diese Wahlalterabsenkung für das Wahlergebnis bedeuten würde, habe er entsprechend gehandelt. Michael Müller: „Entweder ich gehe damit noch vor den Wahlen ins Plenum und verliere die Wahlen, oder ich gehe nach der Wahl damit in die Gremien.“ Mehrheiten bei Wahlen entstünden schließlich unabhängig von Parteitagsbeschlüssen.

 

 

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Kommentar zu “SPD Pankow: Mehrheit für Stöß – Abrechnung mit Müller”

  1. Frank

    Mai 07. 2012

    Super! Vielen Dank für diesen Bericht. Sehr informativ!

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