Von Autos zum Spielplatz zur Demokratie

Die Winterkirche ist ein kleiner Raum hinter der Kirchenhalle und er ist gerappelt voll. Umfallen kann niemand. Wer zu spät zur Anwohnerversammlung zum Thema eines parkplatzfreien Gethsemaneplatzes kommt, den bestraft dieses Mal nicht das Leben, der findet nur keinen Stuhl. 600 Zettel waren zuvor verteilt worden, mindestens 50 Anwohner sind der Aufforderung gefolgt. Doch nicht der Idee der Nächstenliebe soll an diesem Abend in der Gethsemanekirche gehuldigt werden, am Pranger steht eine andere Idee: der Gethsemaneplatz – möglichst autofrei.
Wie ein solches Konzept aussehen könnte, ob es überhaupt Unterstützung fände, darüber möchten die Initiatoren der Bürgerinitiative gern mit allen Anliegern reden. Und damit es etwas zum Reden gibt, stellt Cornelia Dittrich zwei Varianten ihrer Idee vor: Einmal die vollständige Autofreiheit rings um die Gethsemanekirche, einmal nur die nördliche Seite der Gethsemanestraße mit dem Spielplatz. „Wir alle wohnen an einem der schönsten Plätze Berlins“, meint Dittrich, „doch die Gethsemanekirche steht auf einem großen Parkplatz.“

Platz für Kinder

Es gäbe hier 130 Parkplätze – ohne die 50 auf der Stargarder Straße – während das Parkhaus an der Eselsbrücke unausgelastet sei. Es gäbe einen Mangel an Grünfläche und zu wenig Platz für Kinder, erklärt sie überzeugt, bevor sie ihren Vortrag mit einem Loblied auf den öffentlichen Raum beendet: „Für mich ist das Ausdruck einer gerechten Gesellschaft.“ Sie erntet – nun ja – auch ein wenig Gelächter.

0003Und so geht es weiter. Eine Frau aus der Gethsemane-
straße, die seit 13 Jahren hier wohnt, ist der Meinung, es gäbe genug andere Spielplätze, schon jetzt könne man im Sommer die Fenster des Lärmeswegen nicht öffnen. Außerdem hätte sie bei der Anhörung einen dicken Hals gekriegt: „wie sollen denn die Kinder lernen, wo sie spielen sollen, wenn die Straßen frei sind?“ Die nächste Sprecherin, die seit 23 Jahren in der Gethsemanestraße 5 wohnt, lobt die Idee der Verbannung des Autoverkehrs und verweist auf alle anderen Spielplätze, die ebenso oft viel zu voll wären.

„In Berlin wohnt man überall auf einem Parkplatz“

Dann der erste Mann. Er hat die Idee anders verstanden. Kein großer Kinderspielplatz sei gewünscht, sondern ein Gewinn von Fläche für alle. Dabei brauche man aber Halteverbote, so seine Erfahrung, nicht in Erwägung zu ziehen, das nütze nichts, zeigten die Erfahrungen in der Greifenhagener Straße. Der nächste Sprecher wohnt seit 10 Jahren in der Greifenhagener Straße und würde gern einige Schritte gehen, um nicht auf einem Parkplatz wohnen zu müssen. Der dritte Redner ist neu im Kiez, kurz vor dem Rentenalter und outet sich als Autobesitzer, der nach 20 Uhr keinen Parkplatz mehr findet. „In Berlin wohnt man überall auf einem Parkplatz, da kann man doch nicht sagen, ich will jetzt Parkplätze abschaffen“, so seine Meinung. Was ihn vor allem stört, ist, dass Parkausweise selbst Besitzer von ausländischen Autos erhalten.

0001Pfarrer Zeiske bittet um Ruhe, sagt: „Sie hatten vorhin schon eingeatmet“ und die nächsten Meinungen sausen durch die Winterkirche. „Ein Auto ist kein Luxusartikel. Mein Mann arbeitet in Marienfelde zu Zeiten, wo die BVG kaum fährt. Warum müsse plötzlich Anti-Autostimmung gemacht werden? Die Anwohner am Spielplatz wären auch tolerant, da könnte es ja auch eine Anti–Spielplatz-Initiative geben“, so eine ältere Anwohnerin.

Auch ein Spielplatz verursacht Lärm

„Brauchen wir einen solchen Platz unbedingt im Stadtgebiet?“, fragt ein Mittdreißiger. Ihm folgt eine jüngere Wahlberlinerin aus den USA, die sich hier extra kein Auto gekauft habe, weil sie die gemeinsamen Plätze sehr schätze. Mehr Platz zu haben, fände sie wunderbar, allerdings nicht die Idee einer Spielstraße: „Autofahrer suchen nach Parkplätzen und achten nicht auf Kinder!“ Ein 50-Jähriger, der am Spielplatz wohnt, beklagt sich über die schlechtere Parkplatzsituation trotz der Parkausweise und wiederholt bedeutungsschwer die Worte einer Ur-Anwohnerin: „Hier wurde schon immer gespielt, aber nicht in dieser Art und Weise“. Besonders im Magen liegen ihm und anderen im Sommer nach 18 Uhr Jugendliche mit lauten Ghettoblastern, die auf dem Trampolin herumsprängen und den Spielplatz mit leeren Pizza-Schachteln tapezierten. Wenn die Straße für Autos geschlossen werde, so seine Befürchtung, kämen sicher noch mehr fremde Besucher, wie viele von ihnen wären für Anwohner verträglich? „Es geht nicht um Autos, es geht um Lärm!“, bringt eine junge Frau schließlich das Problem vieler Anwohner auf den Punkt.

Parkhaus zu teuer

So geht es weiter und weiter, selbst ein 13-jähriger Junge meldet sich und sagt, dass ihm die vielen Autos um die Kirche nicht gefallen. Zuletzt verweist eine gut informierte Anwohnerin auf das angeblich unausgelastete Parkhaus. Dies sei keine Lösung, wären doch dort die Preise bereits von 45 auf inzwischen 70 Euro im Monat gestiegen, und jeder könne sich ausrechnen, was bei erhöhtem Bedarf geschehe.
Kurz bevor Pfarrer Zeiske die Diskussion vertagt, wird es noch einmal grundsätzlich. „Ich habe an dieser Stelle ein Problem mit ihrem Demokratieverständnis“, greift eine Gegnerin eines autofreien Platzes die Initiatoren an.

Anwohner übergangen?

Sie geißelt „messianischen Eifer“, eine „Konzept-Aufdrängung“ und die Verdrängung von Problemen, da andere Anwohner dann ein Auto-Problem hätten, wenn die Autos aus der Gethsemanestraße einfach woandershin gestellt würden. Besonders aber störe sie, dass die Idee eines autofreien Platzes nicht zuerst an die Anwohner, sondern an das Bezirksamt heran getragen worden sei. Diesen Einwand kann Frank Geraets, einer der „Gethsemaneplatz“-Initiatoren, zunächst entkräften. Ja, es hatte einen Antrag gegeben, dieser sei jedoch unspezifiziert gewesen und habe nur dem Zweck gedient, das Bezirksamt in die Arbeitspflicht zu nehmen, Arbeiten, die jetzt ehrenamtlich von den Mitgliedern der Bürgerinitiative geleistet würden.“ Nur wenige Minuten später zitiert Martin Müller, ein weiterer Gegner eines grünen „Gethsemaneplatzes“, aus einer Kopie des Originalantrages vom November 2011, der sehr wohl auf einen parkplatzfreien Gethsemaneplatz abzielte.
An Konfliktstoff wird es auch beim nächsten Treffen nicht mangeln.

 
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4 Kommentare zu “Von Autos zum Spielplatz zur Demokratie”

  1. Tim

    Jan 17. 2011

    aha … wohnen alle seit ca. 10 Jahren da. Ist keiner mehr von den alten da ? Autofrei ja aber keinen größeren Spielplatz .

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  2. jan peter hammer und ana teixeira pinto

    Jan 18. 2011

    Wir waren bei dem Treffen und finden, dass der obige Text die Einwände gegen das Projekts verzerrt darstellt.

    – Der Prozess wurde auf eine undemokratische Art verfolgt. Die Initiative wurde als ‚offenes Treffen’ präsentiert um Ideen zu ‚diskutieren’, tatsächliche stand jedoch ein klar definiertes Konzept schon von vornherein fest. Dieses Konzept repräsentiert ein Lebensgefühl und eine Idee von schöner wohnen, welche die Vorstellungen und Wünsche der Anwohner weder reflektiert noch einbezieht. Wie wir später erfuhren wurde das Project schon zweimal, im September 2010 und im Januar 2010 vom BVV (Bezirksverordnetenversammlung) ohne Erfolglos vorgestellt ohne die Anwohner zu informieren. Der eigentliche Grund der Versammlung bestand demnach in der Reaktion auf die Ablehnung des Antrags und nicht im wirklichen Wunsch einen Dialog zu führen.

    – Das vorgeschlagene Konzept führt, nach Meinung der Anwohner zu einem unerträglichen Anstieg von Lärm und Belästigungen. Der Zweck die ganze Straße in einen Spielplatzes zu verwandeln wird zweifellos eine Schar von Ausflüglern und Touristen anlocken und so den an Sommertagen schon jetzt häufig unerträglichen Lärmpegel enoch um vieles erhöhen. Weiter fürchten die Anwohner die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, die notwendigerweise folgt: Cafes, Flaniermeile, Flohmarktstände, Straßenmusik, etc, alles Dinge, die den Anwohnern Ruhe, Privatsphäre und Möglichkeit zu verdienter Erholung rauben.

    – Die Abschaffung der Parkplätze wird eine große Anzahl der Anwohner tangieren, deren Bedarf, Rechte und finanzielle Nöte wurde nicht in Erwägung gezogen, Die Befürworter schlugen ‚großzügiger Weise’ vor, Autobesitzer sollten doch im Parkhaus einen Parkplatz mieten.

    – Die Anwohner sind überzeugt, dass es in nächster Nachbarschaft schon eine große Anzahl von Orten für Kinder gibt und dass die Straße zu diesem Zweck völlig ungeeignet ist. Da fast alle Wohnungen zur Straßenseite ausgerichtet sind würde der Event-Charakter der Straße zu einer Arena- bzw. Panoptikum Situation führen.

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  3. Dirk

    Jan 21. 2011

    Paradox finde ich die Argumentation der Parkplatzverteidiger, die einerseits sagen, dass „Fremde“ kommen und Lärm machen würden, wenn ein Bereich autofrei wird. Gleichzeitig fahren sie mit ihren Autos durch diese Stadt und an den Fenstern anderer (fremder?) Menschen vorbei und sind eine der Hauptlärmquellen dieser Stadt.
    Das ist paradox: Wenn schon gegen Lärm vor der eigenen Tür, dann bitte auch auf das eigene Auto verzichten! Und die anderen Menschen in dieser Stadt von Lärm verschonen.

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  4. Frank Möller

    Nov 08. 2011

    Es ist sehr interessant, dass die Leute, die ihre Ruhe in einem der verkehrsärmsten Winkel vom Prenzlauer Berg haben wollen, gleichzeitig auf das Parken und Fahren von Autos bestehen. Warum ziehen diese Leute nicht an die Prenzlauer Allee oder Greifswalder Straße. Da können sie den ganzen Tag über die leisen Autos genießen.

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