Immanuelkirchstraße 35: Ein Bezirksamtsdementi, das keines ist


 

Hat der Rechtsanwalt des Bauherrn des Hauses Immanuelkirchstraße 35 vorsätzlich falsche Angeben gemacht? Das Bezirksamtes weckt mit den Antworten auf drei Kleine Anfragen des Bezirksverordneten Frederik Bordfeld (Linksfraktion) jedenfalls einen solchen Anschein.

Anlass der Fragen war offensichtlich die Veröffentlichung von Auszügen aus der Bauakte der Immobilie durch die Prenzlberger Stimme.

Dort war unter anderem zu lesen, dass der Leiter des Fachbereiches Stadterneuerung des Pankower Stadtentwicklungsamtes Christoph Speckmann dem Rechtsanwalt und dem Architekten des Grundstückseigentümers bereits im Juli in Aussicht gestellt hatte, die erhaltungsrechtswidrigen Planungen des Immobilieneigners – mit Ausnahme der geplanten Fußbodenheizung und der überdimensionierten Fassadendämmung – zu akzeptieren.

In den Planungen enthalten sind unter anderem die das Gefüge des Hauses verändernden Grundrissänderungen.
Von einstmals 18 Ein-Zimmer-Wohnungen bleiben nur noch fünf übrig, von ebenfalls 18 Zwei-Zimmer-Wohnungen nur noch neun. Insgesamt verringert sich die Anzahl der im Haus befindlichen Wohnungen von 53 auf 32 Wohneinheiten. Einige Bewohner stehen dadurch plötzlich ohne Wohnung da – denn ihre wurden mit anderen zusammengelegt.
Dies läuft diametral dem sozialen Erhaltungsrecht zu wider, dass gerade den Erhalt kleiner Wohnungen den Vorrang gibt und Grundrissänderungen nur in eng gefassten ausnahmen zulässt.
 

Wahrheitsgehalt der Protokolle der Eigentümervertreter in Frage gestellt

Fachbereichsleiter Christoph Speckmann erklärte am 27. September 2016 auf einer Mieterversammlung laut Versammlungsprotokoll den Bewohnern des Hauses:

„…dass bei dem aktuellen Planungsstand erhaltungsrechtlich kein Einvernehmen zur Baugenehmigung hergestellt wird. Er erläuterte die Gründe wie z.B. der erhebliche Unterschied zwischen dem Wohnungsspiegel/der Wohnungsgrößen im Bestand gegenüber den geplanten Maßnahmen, fehlende bzw. nicht nachgereichte Unterlagen des Eigentümers, Einbau von Fußbodenheizungen und dass die geplanten innenliegenden Aufzüge zu Grundrissänderungen führen, welche nicht genehmigungsfähig sind. Grundrissänderungen sind nur in Ausnahmefällen genehmigungsfähig, z.B. um den erstmaligen Badeinbau zu ermöglichen. Das ist jedoch nicht bei allen betroffenen Wohnungen der Fall. Das Gebäude wird von Fachbereich Stadterneuerung nicht als Neubau betrachtet und fällt somit unter den Bestandsschutz und ist nach den erhaltungsrechtlichen Kriterien zu beurteilen.“

Dabei hatte Speckmann ganz offenbar den Eigentümervertretern seine Zusage zu den meisten erhaltungsrechtswidrigen Planung schon drei Monate zuvor in Aussicht gestellt.
In einem an Christoph Speckmann adressierten Brief des Anwalts des Hauseigentümers, in dem ein am 19. Juni 2016 stattgefundenes Gespräch protokolliert wurde, ist zu lesen:

„(…)stellt Herr Speckmann insgesamt das erhaltungsrechtliche Einvernehmen für die wesentlichen beabsichtigten baulichen Maßnahmen (unter Vorbehalt Bodenheizung und Wärmedämmung der Außenfassaden) in Aussicht.”

Alles nicht wahr, meint nun der für Stadtentwicklung zuständige Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn (Bündnis 90/ Die Grünen) in der Beantwortung der Anfrage an den Linkspolitiker. Darin heißt es:

„Die Genehmigungsfähigkeit des Bauantrages war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben. Lediglich einzelne Baumaßnahmen waren genehmigungsfähig, über die der Bauherr im Gespräch im Juli informiert wurde. Leider wurde es versäumt, die dazu im Protokoll des rechtlichen Vertreters des Eigentümers niedergeschriebene Aussage zu widerrufen beziehungsweise richtigzustellen.“

Letzteres bedeutet nun nichts anderes, als dem Rechtsanwalt des Eigentümers unterstellen, er hätte vorsätzlich Unwahres protokolliert.
Weiter schreibt Kuhn:

„Parallel dazu wurde durch den Fachbereich Stadterneuerung geprüft, inwiefern von der Umsetzung der bauordnungsrechtlichen Neubaustandards abgewichen werden kann. Erst mit Einreichen des überarbeiteten Energiegutachtens am 09.11.2016 erlangte der Bauantrag aus Sicht des Erhaltungsrechts seine Genehmigungsfähigkeit.“

 

Rosa Elefant?

Betrachtet man sich die Aussage des Stadtrates genauer, ist überhaupt kein Widerspruch zwischen dem Protokoll und den offenbar realen Abläufen auf der einen, und den Darstellungen von Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn auf der anderen Seite zu erkennen.

Das, was Kuhn als „einzelne Baumaßnahmen“ bezeichnet, die bereits am 19. Juli 2016 „genehmigungsfähig“ gewesen waren, können nur all jene Planungen von Grundrissänderungen, Wohnungszusammenlegungen und der Einbau des die Statik verändernden Aufzugs gemeint sein, die letztlich zur Aufhebung des Bestandsschutzes und damit der Aushebelung des sozialen Erhaltungsrechts für das Haus führten.

Denn nach dem 19. Juni 2016 ging es tatsächlich – wie im Protokoll des Eigentümeranwalts offenbar wohl doch korrekt vermerkt – nur noch um die Dämmungsstärke der Fassade und die Fußbodenheizung. Denn weder für einen innenliegenden Fahrstuhl, noch für Grundrissänderungen und Wohnungszusammenlegungen bedarf es eines Energiegutachtens.

Hier nun wird die Angelegenheit völlig bizarr.

Durch den Verlust des Bestandsschutzes, der durch die von Fachbereichsleiter Christoph Speckmann schon zuvor nicht beanstandeten grundsätzlichen Veränderungen an der Bausubstanz eintrat, gilt das Gebäude nun faktisch als Neubau. Für einen Neubau aber gelten keine erhaltungsrechtlichen Bestimmungen. Da kann der Bauherr auch nach Gutdünken Fußbodenheizungen einbauen und dämmen, so dick, wie er will.

So betrachtet, erscheint das vermeintliche Ringen um die erhaltungsrechtlichen Normen bei der energetischen Modernisierung als ein Scheingefecht – beziehungsweise als ein „rosa Elefant“.
„Rosa Elefanten“ wurden in der DDR auffällig kritische Textelemente genannt, die Musikgruppen oder Kabarettisten in ihr Programm einbauten, um die staatliche Zensur von den sonst noch in den Stücken enthaltenen, subtileren „Stellen“ des Programms abzulenken.

 

Unzutreffende Antworten

In die Irre führend ist die Behauptung des Bezirksstadtrats auf die Frage, warum Fachbereichsleiter Speckmann den Bewohnern des Hauses bei der Mieterversammlung erklärte, dass die Anträge des Bauherren keine Chance hätten und der Bestandsschutz des Hauses erhalten bliebe. Vollrad Kuhn:

„Ferner wurde parallel dazu geprüft, ob der erstmalige Badeinbau die Aufhebung des Bestandsschutzes und damit die einhergehenden Umsetzung der bauordnungsrechtlichen Neubaustandards tatsächlich erforderlich macht.“

Denn im Widerspruch dazu steht: Nachdem der Fachbereichsleiter Stadterneuerung laut Aktenlage bereits am 4. Juli 2017 von der Bau- und Wohnungsaufsicht im Stadentwicklungsamt mitgeteilt bekam, “dass auf Grund der geplanten Maßnahmen von Bestandsschutz nicht mehr die Rede sein kann”, erhielt er auf eine – warum auch immer – nochmals gestellte Anfrage mit Datum vom 25. August von der Bau- und Wohnungsaufsicht die gleiche Antwort. Und – wie schon erwähnt – ohne Bestandsschutz ist das Haus wie ein Neubau zu behandeln
 

„Nicht üblich“ versus „Verwaltungspraxis“

Auch die Behauptung Kuhns, es sei „nicht üblich“, den BVV-Stadtentwicklungsausschuss „in Einzelfällen über beabsichtigte Genehmigungen zu informieren“, trifft so nicht zu.
Tatsächlich wurde der Fachausschuss der Pankower Bezirksverordnetenversammlung bisher stets bei speziellen Problemfällen informiert. Selbstverstndlich war das auch Fachbereichsleiter Speckmann bekannt – hatte doch er laut Protokoll dem Vertreter des Grundstückseigners erklärt:

„…dass aufgrund der Fülle der hier notwendigen Ausnahmen und Abweichungen von den Erhaltungszielen nach der Verwaltungspraxis die Fachausschüsse im Bezirk zu unterrichten seien (Hervorhebung ODK). Das hier zu erwartende Ergebnis bei IMK 35 (Immanuelkirchstraße 35 – ODK) würde vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus zu erheblichen Verstimmungen führen, er werde die Ausschüsse daher erst nach Abschluss der Prüfung und nach der Wahl über das Erfordernis und die Gewährung weitreichender Ausnahmen informieren.”

Oder war das etwa auch eine vermeintlich unwahre Behauptung des Rechtsanwalts, bei der man es leider versäumt hat , „die dazu im Protokoll des rechtlichen Vertreters des Eigentümers niedergeschriebene Aussage zu widerrufen beziehungsweise richtigzustellen.“?
Wenn ja, warum verlangte das Bezirksamt nicht noch im Nachhinein eine Korrektur?
 

Politische Bankrotterklärung

Fatal auch die Reaktion des Bezirksstadtrat auf Bordfelds Frage, ob es einen „Bezirksstadtrat-Vorbehalt“ für die Erteilung dieser Genehmigung gegeben habe:

„Die Frage der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens richtet sich nach den rechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen und nicht nach politischen Vorgaben.“

Das ist nichts weniger, als eine politische Bankrotterklärung. Denn damit negiert Kuhn die politische Verantwortung eines Bezirksstadtrates für das Handeln seiner Verwaltung.
Selbstverständlich müssen sich Entscheidungen im Rahmen der bestehenden Gesetze bewegen. Doch bei der Gestaltung der rechtlichen Spielräume hat die Politik, hat der verantwortliche Politiker das letzte Wort, der – im Guten, wie im Schlechten – auch die Konsequenzen für die jeweilige Entscheidung zu tragen hat. Anderenfalls könnte man die der Verwaltungen vorstehenden Politiker einsparen.

 

Nichts geklärt

Die Antworten, die Bezirksstadtrat Vollrad Kuhn auf die Fragen des Bezirksverordneten gegeben hat, tragen nichts, aber auch gar nichts zur Aufhellung der Vorgänge um das Haus Immanuelkirchstraße 35 bei. Sie sind der misslungene Versuch eines Dementis, der die Befürchtung weiter wachsen lässt, dass das Bezirksamt aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, in dieser Sache reinen Tisch zu machen.

 

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3 Kommentare zu “Immanuelkirchstraße 35: Ein Bezirksamtsdementi, das keines ist”

  1. Leo Bär

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  2. heiner funken

    Sep 01. 2017

    sehr geehrter stadtrat vollrad kuhn bitte treten sie zurück. sie haben hinreichend nachgewiesen, nicht nur (aber im besonderen) in der sache immanuelkirch str. 35, daß sie der aufgabe nicht gewachsen sind.am erschüttersten finde ich, daß sie sich im eigenen haus nicht durchsetzen können und auch nicht im stande sind zu den von ihnen und/ oder ihren amtsmitarbeitern begangenen fehler zu stehen. statt dessen versuchen sie im üblichem politiksprech den menschen sand in die augen zu streuen. es reicht, drücken sie den rücken durch, machen sie sich ehrlich und treten zurück.

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  3. Jan Körner

    Sep 08. 2017

    Wenn ich die Rolle von Christoph Speckmann – gehört dieser Fachbereichsleiter auch einer Partei an? – richtig verstehe, müsste doch auch er für sein Handeln zur Verantwortung gezogen werden., oder? Ohne Konseuqenzen sind doch letztendlich alle Regeln nur noch schöner Schein und werden dann doch nur zur Beherrschung der Ohnmächtigen durch die Mächtigen benutzt. Wem sollte nochmal die Stadt gehören?

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