Absurdes Theater in der Verlängerung

Der Riese liegt satt und zufrieden am Boden. Gar mächtig hatte er sich den Wanst vollgeschlagen, dann wurde er matt und müde. Nun ist er eingeschlafen, auf seinem Bauch ein letzter Knochen des üppigen Mahles.
Leise, ganz leise schleichen sich die Kinder heran. Sie wollen den Knochen stehlen, ohne dass der Riese es bemerkt. Denn wenn er erwacht, wird er die Kinder, die ihm den Knochen mopsen wollen, fangen.
Unweigerlich und gnadenlos.
Also pirschen sie sich langsam heran, so wie es ihnen Claudia Steiger vormacht. Schritt für Schritt für Schritt.
Psssst.

Natürlich wird der Riese dennoch wach, und es beginnt eine wilde Jagd… .

Die dreizehn Kinder der Murkelbühnen-Gruppe „Lust auf Theater 8+“ , die jeden Montagnachmittag im Eliashof zugange sind, können – so wie auch die rund 150 anderen Kursteilnehmer – ihre alte Heimstatt trotz Kündigung des Mietvertrages zum 1. Januar erst einmal weiter nutzen. Gleiches gilt auch für die Klangschmiede und das Puppen-
theater Prenzlkasper. Damit geht das absurde Theater um die „Umsetzung“ der im Eliashof befindlichen Kultureinrichtungen nun in die Verlängerung.

Begonnen hatte alles im Jahr 2000. Wegen akuten Schüler-
mangels wurde deie 10. Grundschule in der Senefelder Straße geschlossen und der Gebäudekomplex zu einem Kulturstandort umgewidmet.
Freie Gruppen, wie die „Klangschmiede“, der „Prenzlkasper“ oder eben die „Murkelbühne“ fanden hier eine Heimstatt; auch das MACHmit! Museum für Kinder, das 2003 in der nicht mehr als Gotteshaus genutzten Eliaskirche sein Domizil fand, belegte einige Räumlichkeiten der ehemaligen Schule. Die Modern Dance Company Flatback and cry hielt ihre Kurse in der neu eingerichteten Tanzhalle ab, eine „interkulturelle Kiezbühne“ etablierte sich.

Ein Technikpool für freie Gruppen wurde gegründet; es gab eine Hofgalerie und eine Galerie in den Fluren, in der jeder seine eigenen Werke ausstellen konnte. Eine Kinder- und Jugendbibliothek wurde eingerichtet, das Medienkompetenz-Zentrum „Mezen“ fand hier seinen Platz, und in einen Seitenflügel zog die Außenstelle der Prenzlauer Berger Musikschule „Leo Spies“ ein.

Ein einzigartiges Kinder- und Jugendkulturzentrum war ent-
standen, das weit über den Bezirk und auch die Stadt hinaus Bekanntheit erlangte. Selbst aus Japan reisten Gäste an, um sich ein Bild über die Jugendkulturarbeit im Eliashof zu machen.

Dieser Erfolg war zum einen natürlich dem Engagement der Eliashöfler geschuldet – zum anderen wurden aber auch erhebliche öffentliche Mittel aufgewandt, um die nötigen Umbauten zu realisieren und die entsprechenden Ausstattungen zu erwerben. Gut 3.750.000 Euro wurden für den Zeitraum von 2001 bis 2008 dafür veranschlagt – rund 2,7 Millionen davon waren (Förder-)Mittel von Bund und EU.

Pünktlich zum Ablauf dieses Zeitraumes fiel dem Bezirksamt auf, dass im Kiez wohl doch mehr Kinder im Grundschulalter lebten, als angenommen. Dieser Erkenntnis vorangegangen waren Proteste und Klagen von Eltern, die sich über unzumutbar lange Wege für die Schulanfänger beschwerten.

Also beschloss das Bezirksamt im Dezember 2008 die Rückwidmung des Eliashofes zu einer Grundschule. Dieser Beschluss wurde – symbolträchtig am 1. April 2009 – von der Bezirksverordnetenversammlung mehrheitlich abgesegnet.
Doch während in dem Beschluss die einzelnen Prüfungsvarianten bezüglich der Eröffnung einer neuen Grundschule recht ausführlich dargestellt wurden, blieb man bei Frage, was denn nun aus den Kulturangeboten werden soll, im Ungefähren: „Eine Unterbringung der Kulturprojekte im Ensemble Thälmannpark sollte prioritär in Betracht gezogen werden.“
Dass die Kultureintrichtungen im Thälmannpark auch zu jenem Zeitpunkt nicht menschenleer, sondern sehr wohl mit Projekten und deren Akteuren ausgefüllt war, schien niemand der den Beschluss gutheißenden Bezirks-
verordneten aufgefallen zu sein.
Es kam zu einer zu einer absurden Konkurrenzsituation. „Wir standen auf einmal als diejenigen dar, die die angestammten Projekte aus dem Thäl-

mannpark verdrängen wollten“, erinnert sich Murkelbühnen-Leiter Matthias Kubusch. „Dabei war das die Idee der Bezirkspolitik“.
Als jene unglückselige Variante vom Tisch war, eröffnete sich zumindest für die Murkelbühne eine reale Möglichkeit, recht-
zeitig eine neue Spielstätte zu beziehen: Das „Interkulturelle Haus“ in der Schönfließer Straße. Kubusch: „Der Bezirk befürwortete den Umzug in die Schönfließer Straße und selbst die Senatskulturverwaltung sprach sich für diesen Standort aus.“
Allein – in der Schönfließer Straße selbst zeigte man sich alles andere als begeistert.

Sei es, dass man dort durch die deutliche Zustimmung von Bezirks- und Landespolitik eine ungerechtfertigte Protegierung der Murkelbühne befürchtete oder auch nur um Ruhe die bangte, die beim Betrieb der Murkelbühne aber nicht unbedingt zu garantieren war: Willkommen war man dort nicht.
Wohl auch durch die Erfahrung mit dem Thälmannpark sensibilisiert, wurde entschieden, nicht dorthin zu gehen, denn: „Nur geduldet zu sein, würde auf Dauer zu Konflikten führen, die letztlich die Arbeit aller beeinträchtigen.“

Wie oft Matthias Kubusch seitdem mit dem zuständigen Stadtrat Michail Nelken zusammensaß, weiß er nicht mehr.

Proteste und E-Mail-Aktionen der Eltern der Kursteilnehmer zeitigten stets dasselbe Ergebnis: Nelken erklärte sein großes Interesse am Erhalt der Murkelbühne – hatte aber substantiell nichts anzubieten.
Die als letzter Notnagel angebotenen Räume in der ehemali-
gen Musiklschule in der Pappelallee sind für die Murkelbühne unbespielbar. Ein im Dezember erstelltes Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass in dem maroden Haus mindestens 30.000 Euro zur Sicherung des Brandschutzes investiert werden müssten. Geld, das die Murkelbühne nicht hat. „Wir werden die Räume dort für ein paar Monate als Lager nutzen,“ erklärt Matthias Kubusch lapidar, „mehr geht nicht.“

Wenn auch die Kurse im Eliashof in den nächsten Wochen fortgeführt werden – Aufführungen der Murkelbühne wird es dort nicht mehr geben. Die gibt es erst wieder, wenn ein neuer Standort bezogen ist. Offenbar hat Matthias Kubusch schon entsprechende Zusagen erhalten. Allerdings verrät er nicht, wo die neue Spielstätte sein könnte. Er sagt nur: „Mit Sicherheit nicht im Bezirk Pankow.“

 

 

 

 

Update:

In einer vorherigen Version des Artikels war irrtümlicherweise die Rede davon, dass der Murkelbühne ein Ausweichquartier in der Jugendkunstschule Pankow in der Neuen Schönholzer Straße angeboten wurde. Richtig ist: Es gab eine von Bezirk und Senat befürtwortete Variante, im „Interkulturellen Haus“ in der Schönfließer Straße unterzukommen.

 

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