Die DDR heißt jetzt GESOBAU

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„Die Wahlen werden stattfinden auf der Grundlage der Losung des Manifestes der Nationalen Front des demokratischen Deutschland. Die Einheit und der Zusammenhalt aller fortschrittlichen Kräfte wird stärker als bisher aus ihnen hervorgehen.“

Franz Dahlem, Mitglied des Politbüros der SED am 6. Januar 1950. Zitiert aus: „Hände hoch für die Nationale Front“, Deutschlandfunk 14.10.2000

 
Es war eine Forderung des Mietenvolksentscheides, die in das Berliner Wohnraumversorgungsgesetz aufgenommen wurde: Bei jedem landeseigenen Wohnungsunternehmen wird ein Mieterrat zur Beteiligung der Mieterschaft an Unternehmensentscheidungen eingerichtet.
„Die Mieterräte“, so steht es im Gesetz, „befassen sich mit und nehmen Stellung insbesondere zu den Unternehmensplanungen bei den Neubau-, Modernisierungs- und Instandsetzungsprogrammen, bei der Quartiersentwicklung sowie bei Gemeinschaftseinrichtungen und erhalten die dazu erforderlichen Informationen.“

Toll, dachte sich der Pankower GESOBAU-Mieter Tilo Trinks, hier kann ich mich einbringen. Trinks engagiert sich seit längerem nicht nur für die eigenen Belange, sondern auch für andere modernisierungsbetroffene Mieter und ist Gründungsmitglied des „Pankower Mieterprotest“. In dieser Bürgerinitiative haben sich Betroffene von Sanierungsauswüchsen und Mietpreistreiberei zusammengefunden, um auf Fehlentwicklungen in der Wohnungs- und Mietenpolitik hinzuweisen und Alternativen zu diskutieren.

Also schickte er seine Bewerbung in Richtung GESOBAU ab und harrte der Dinge die da kommen mochten.

Und sie kamen. In Form eines Briefes.

Sehr geehrter Herr Trinks,
Sie haben sich um eine Kandidatur für den GESOBAU-Mieterrat beworben. der dieses Jahr zum ersten Mal gewählt wird. Vielen herzlichen Dank dafür! Die unabhängige Wahlkommission hat Ihre Bewerbung geprüft und entschieden, dass Sie nicht als Kandidatin bzw. als Kandidat zugelassen werden können. Nach § 53. Absatz 4 der Wahlordnung zur Bildung von Mieterräten bei der GESOBAU AG im Sinne des Artikel 2 55 6 und 7 WoVG Bln kann die Wahlkommission Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl zum Mieterrat ausschließen, sofern in der Person schwerwiegende Verstöße gegen das friedliche Zusammenleben oder gegen die Hausordnung oder nachhaltige Vertetzungen der mietvertraglichen Pflichten vorliegen. lhr Ausschluss beruht auf dem Vorliegen einer der zuvor genannten Kriterien.

Um dann – wie zum Hohn – zu schließen:

Als Mieter und Wähler sind Sie natürlich herzlich willkommen, die anderen Kandidaten in Augenschein zu nehmen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre GESOBAU-Wahlkommission

„Zweifelhafte Kandidaturen“


„Genossen! Trotz eingehender Information und Instruktion sind in einer Reihe von Orten verschiedene reaktionäre Kandidaten mit auf die Gemeindevertreterlisten gekommen. Daher ist es notwendig, daß umgehend mit der öffentlichen Vorstellung der Kandidaten in öffentlichen Einwohnerversammlungen begonnen werden muß.“

Aus einem Rundschreiben der SED-Kreisleitung Schleiz an die untergeordneten Parteiorgane. Zitiert aus: „Hände hoch für die Nationale Front“, Deutschlandfunk 14.10.2000


 
Tilo Trinks starrte auf die GESOBAU-Depesche wie auf eine Nachricht von einem anderen Stern. Schließlich hatte er seit Jahr und Tag seine Miete pünktlich überwiesen, nie im Hausflur randaliert und auch nicht ein einziges Mal eine Fuhre Mist vor den Eingang der GESOBAU-Verwaltung gekippt. Und hatte auch sonst nichts getan, was auch nur im entferntesten „gegen das friedliche Zusammenleben oder gegen die Hausordnung verstoßen“ oder gar oder als „nachhaltige Verletzungen der mietvertraglichen Pflichten“ gelten könnte.

Als die Prenzlberger Stimme bei der Wohnungsbaugesellschaft nachfragte, erteilte GESOBAU-Sprecherin Birte Jessen folgende Auskunft:

„Die Prüfung der Kandidaten erfolgte gemäß Wahlordnung aus Datenschutzgründen bei der GESOBAU. Zweifelhafte Bewerbungen wurden dabei anonymisiert in Form einer tabellarischen Übersicht der Wahlkommission vorgestellt. Die Tabelle enthielt folgende Angaben: Wahlbezirk, Vertragsbeginn, Alter, Beruf, persönliches Engagement (soweit angegeben) sowie Anmerkungen und Einschätzungen der GESOBAU.“

„Anmerkungen und Einschätzungen der GESOBAU“ zu von der GESOBAU als „zweifelhaft“ bezeichnete Kandidaturen.

Welche Anmerkungen und Einschätzungen das waren, wollte Birte Jessen nicht preisgeben. Auch nicht, was „Einschätzungen der GESOBAU“ bei der Kandidatur für eine Mietervertretung der zu suchen hat.
Und was die GESOBAU unter „zweifelhafte Kandidaturen“ versteht, konnte die Unternehmenssprecherin selbst nach mehrmaliger Nachfrage nicht erklären. Das sei, so Jessen, einfach nur so ein Begriff, den man nicht überbewerten sollte – den habe irgend jemand im Unternehmen mal aufgebracht und so sei er denn eben verwendet worden. Zu bedeuten habe er nichts.

Aber, ganz wichtig:

„Der Ausschlussgrund liegt gemäß der Wahlordnung in der Person des Kandidaten und in seinem Verhalten als Mieter begründet, nicht in seinem gesellschaftlichen Engagement.“

Die Auswahlkriterien


Die Parteien und Massenorganisationen vereinten ihre Vorschläge zur gemeinsamen Liste der Nationalen Front. Bevor es so weit war, mußte laut Wahlrecht jeder Kandidat in seinem Betrieb geprüft werden. Wurde er abgelehnt, konnte er nicht nominiert werden.
Quelle


 

Natürlich wollte Tilo Trinks die genauen Gründe für die Ablehnung wissen. Ein Mail an die GESOBAU blieb unbeantwortet, ein weiteres Schreiben wurde dann aber doch zur Kenntnis genommen. Nur: Einen tatsächlichen, konkreten und also greifbaren Grund für die Aberkennung des passiven Wahlrechts konnte auch dort nicht genannt werden. Statt dessen wurde erneut behauptet:

Ihr Ausschluss als Kandidat liegt nicht in Ihrem gesellschaftlichen Engagement und in Ihrem Mitwirken im Pankower Mieterprotest, sondern in Ihrem Verhalten als Mieter der GESOBAU begründet.

Um dann mit einer interessanten Sicht über die Aufgaben einer Wahlkommission fortzufahren:

Die Wahlkommission hat sich bei ihren Entscheidungen von dem Gedanken leiten lassen, ob ein Kandidat im Sinne der Gemeinschaft aller GESOBAU-Mieterlnnen die Interessen aller fair vertreten würde und ob eine konstruktive Zusammenarbeit mit der GESOBAU in einem solchen Gremium möglich sei.

Plötzlich geht es also gar nicht mehr um die formalen Wählbarkeitskriterien (Mieter der GESOBAU, keine schwerwiegenden Verstöße gegen den Mietvertrag etc.), sondern um die Anmaßung, darüber zu entscheiden, wie und von wem die Mieter vertreten werden dürfen. Nicht die Wähler (Mieter) sollen darüber befinden, sondern die von niemand gewählte, von der GESOBAU eingesetzten Kommission urteilt darüber in eigener Herrlichkeit, was „fair“, was „konstruktiv“ und was „im Sinne der Gemeinschaft aller GESOBAU-Mieterlnnen“ ist. Natürlich erst, nachdem die GESOBAU ihre „Anmerkungen und Einschätzungen“ zu den Kandidaten abgegeben hat.

Erstaunlich ist die Offenheit, mir der dieses Gremium darlegt, das es gar nicht um das Vertrauenshältnis zwischen künftigen Mieterräten und den Mietern geht – das ja erst durch eine Wahl bestätigt oder nicht bestätigt werden kann – sondern darum, wer der dem Vorstand der GESOBAU AG genehm ist:

„Sofern ein zerstörtes Vertrauensverhältnis zwischen Mieterin und GESOBAU oder erhebliche Verletzungen der mietvertraglichen Pflichten vorliegen, sah die Wahlkommission den gewünschten Interessenausgleich zwischen Mieterinnen und Mietern und der GESOBAU mehrheitlich als nicht gegeben an.“

Davon, dass ein Kandidat dem Vorstand der Wohnungsbaugesellschaft gefallen muss, steht zwar nichts im Gesetz und auch nicht in der Wahlordnung, aber ein nichtgewähltes Gremium, das offenbar mit der Macht eines kleinen Politbüros versehen wurde, muss das nicht weiter kümmern.

Also schreibt Unternehmenssprecherin Birte Jessen an die Prenzlberger Stimme:

„Die GESOBAU rechnet es der unabhängigen Wahlkommission und den 14 darin mitarbeitenden engagierten ehrenamtlichen Mieterinnen und Mietern hoch an, dass sie in einem sicher nicht einfachen Entscheidungsprozess und nach reiflicher Überlegung und Diskussion zu einem demokratisch erzielten Ergebnis gekommen sind, das die GESOBAU nicht in Zweifel ziehen will.“

Unterschrieben hatte den Brief an Tilo Trinks übrigens die Vorsitzende der Wahlkommission Kirsten Huthmann. Im Hauptberuf ist sie seit 2009 in der Unternehmenskommunikation der GESOBAU AG tätig.

 

„Auzug aus der Mieterakte“



 
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Auch ein „demokratisch erzieltes Ergebnis“ muss einer Überprüfung auf seine Rechtmäßigkeit standhalten. Diese Überprüfung sollte – wenn man ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit voraussetzt – nicht durch das selbe Gremium erfolgen, dessen Entscheidung angegriffen wurde.
Solche haarspalterischen Feinheiten spielen bei der GESOBAU jedoch nicht wirklich eine Rolle.

Also nannte man Tilo Trinks ein Datum, an dem er vor der Wahlkommission vorsprechen durfte, um sich dort vor denjenigen, die ihn aus bis dato aus nichtgenannte Gründen abgelehnt hatten, einer Überprüfung zu unterziehen. Denn nicht die Entscheidung der Wahlkommission sollte überprüft werden, sondern der Kandidat.

„(…)Sie haben an diesem Tag Gelegenheit, sich der Wahlkommission persönlich vorzustellen. Die Wahlkommission kannte bisher weder Ihren Namen, noch Details aus Ihrem Mietverhältnis. Eine weitere Prüfung und Entscheidung durch die Wahlkommission kann jedoch nur erfolgen, wenn Sie der GESOBAU gestatten, der Wahlkommission Informationen aus dem bestehenden Mietverhältnis offenzulegen. Ihr Einverständnis zur Offenlegung vorausgesetzt, wird ein Vertreter der GESOBAU als Gast hinzugeladen. Bitte teilen Sie uns mit heiligendem Formular mit, ob wir Sie erwarten können und ob Sie der GESOBAU gestatten, der Wahlkommission weitergehende Informationen zur Verfügung zu stellen. Bitte geben Sie uns mit beiligendem Formular kurz Bescheid, ob wir Sie erwarten können und ob Sie der GESOBAU gestatten, der Wahlkommission weitergehende Informationen zur Verfügung zu stellen.“

Tilo Trinks stimmte zu. Was hätte er auch sonst tun sollen? Sich darüber mokieren, dass neben den zwei bereits in der Wahlkommission noch ein dritter Vertreter der GESOBAU herangezogen wurde, um den unliebsamen Kandidatur-Bewerber abzuwehren? Und was die „Informationen aus dem bestehenden Mietverhätltnis“ betraf – warum sollte die Wahlkommission nicht erfahren, dass er seit sieben Jahren Mieter bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ist, seine Miete immer pünktlich bezahlt hatte und irgendwann mal im Bad ein Wasserhahn ausgewechselt werden musste?

Doch als er die „weitergehenden Informationen“ Schwarz auf Weiß vor sich liegen hatte, gingen ihm die Augen über. Denn das, was er – und damit auch die Mitglieder der Wahlkommission – zu lesen bekamen, war nicht weniger als ein Kurz-Dossier über seine Miet- und wohnungsbaupolitischen Aktivitäten.

 


 
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GESOBAU-Sprecherin Birte Jessen konnte an der Aufstellung nichts absonderliches entdecken. Das sei, so Jessen, doch nur ein Auszug aus der Mieterakte von Herrn Trinks.

Nur ein Auszug also. Aus der Mieterakte…
 

Die Kommission entscheidet



Zuverlässige SED-Funktionäre erschienen auf den Wählerversammlung und stellten unliebsamen Kandidaten – quasi im Namen des Volkes – unbequeme Fragen. Hermann Hieke, damals ein Kreisvorsitzender der Ost-CDU, gab nach seiner Flucht in den Westen zu Protokoll:
„Die Kandidaten wurden einer Art Verhör unterzogen. Wer auf die Fragen besonders nach der Stellung zur Oder-Neiße-Linie, zur Sowjetunion oder zum Frieden eine nicht genehme Antwort gab, wurde als ideologisch nicht tragbar abgelehnt.“
Aus: „Hände hoch für die Nationale Front“, Deutschlandfunk 14.10.2000

 
Auch bei dieser Anhörung ging es nicht um die mietvertraglichen Pflichten des Bewerbers und deren eventueller Verletzung, sondern um das wohnungspolitsche Engagement des Kandidaten.

Also teilte die Wahlkommission einige Tage nach der Anhörung mit:

„Wir haben diese Chance genutzt, uns intensiv mit lhrer Kandidatur zu beschäftigen und damit, was wir als Mieter der GESOBAU von diesem neuen Gremium des Mieterrats erwarten und auf welche Art und Weise dieser mit der GESOBAU und allen ihren Reprasentanten zusammenarbeiten soll und wird.“

„Wir als Mieter…“ –

Grotesk: Vierzehn unter Vorsitz einer leitenden GESOBAU-Mitarbeiterin agierende Personen, die niemand gewählt hat, maßen sich an, für rund 100.000 GESOBAU-Mieter zu sprechen – denen sie dann auch noch im selben Atemzug vorschreiben wollen, wen sie nicht zu wählwen haben.

Doch dann wird es vollends bizarr. Was unter normalen Umständen eine Empfehlung zur Wahl des Kandidaten wäre, wird hier zur Ablehnung schon der Kandidatur herangezogen:

Wir erkennen lhr persönliches Engagement an, mit dem Sie nicht nur für sich persönlich, sondern auch für lhre Nachbarn und insbesondere nachfolgende Generationen vieles zum Besseren verandern wollen, das heute noch den breit anerkannten gesetzlichen und politischen Rahmen bildet, aber morgen durch eine neue Bewertung gänzlich anders sein kann.

Um dann mit einer linguistischen Kostbarkeit aufzuwarten:

Wir sind nach wie vor nicht sicher, dass lhre Kandidatur keine persönlichen lnteressenkonflikte birgt und Sie im Sinne alter Mieterinnen und Mieter handeln würden.

Wer nichts in der Hand hat, dem bleibt wohl auch nichts anderes übrig, als sich solcher Sprachakrobatik unter Zuhilfenahme einer doppelten Verneinung zu bedienen, um das gewünschte Ergebnis irgendwie zu rechtfertigen. Und das lautete erwartungsgemäß:

„…hat die Wahlkommission der Zulassung lhrer Kandidatur nicht zugestimmt.“

 

Völlig unabhängig


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„Die Wahlkommission ist unabhängig und prüft Kandidaten und Einsprüche. Die Absage an die Kandidaten erfolgte gemäß der Wahlordnung durch die Wahlkommission, nicht durch die GESOBAU“.
Birte Jessen, GESOBAU AG

Wer wissen will, wer denn eigentlich die Mitglieder jener Wahlkommission sind, woher sie kommen und was sie außerhalb ihrer Kommissionstätigkeit so tun, wird schnell ins Leere laufen.

Zwar findet man auf der Webseite der GESOBAU einen Link mit der Beschriftung „Aufgaben und Zusammensetzung der Wahlkommission“, doch wer ihn anklickt, dürfte sich einigermaßen verklapst vorkommen.
Denn anstelle einer Auflistung der Wahlkommissionsmitglieder ist lediglich ein Gruppenfoto zu sehen. Kein Name, kein Hinweis auf Beruf oder anderes – nix.

Die Mitglieder jenes Gremiums, die darüber zu befinden haben, wen die rund 100.000 Mieter der GESOBAU als ihre Vertreter bei der Wohnungsbaugesellschaft wählen dürfen und wen nicht, bleiben also weitgehend anonym.

Als die Prenzlberger Stimme um ein Gespräch mit einem Vertreter der Wahlkommission bat, stellte GESOBAU-Sprecherin Birte Jessen klar: „Die Mitglieder der Wahlkommission werden sich nicht selbst äußern. Die Medienkommunikation wird ausschließlich über die Pressestelle der GESOBAU geführt.“

Einen deutlicheren Beleg für die Unabhängigkeit der Wahlkommission von den Entscheidungen der GESOBAU kann man eigentlich kaum noch erbringen.

 

„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ – Walter Ulbricht 1945, zitiert in: Wolfgang Leonhard: Die Revolution entlässt ihre Kinder (1955)

 

 



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