Heilsarmee und Happy End

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Schuld an allem ist Reinhard Kraetzer.

Der war 1990 im damals noch eigenständigen Bezirk Prenzlauer Berg Sozialstadtrat und hatte da noch ganz andere Probleme, als seine heutige Nachfolgerin im Pankower Bezirksamt. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger betrug fast 25 Prozent, das für Ost-Berlin bisher unbekannte Phänomen der Obdachlosigkeit griff um sich.

Reinhardt Kraetzer: Nicht mal die BVV gefragt

Reinhardt Kraetzer: Nicht mal die BVV gefragt

Auf einem „Markt der Möglichkeiten“, der im benachbarten Wedding veranstaltet wurde, kam er auch an einem Stand der Heilsarmee vorbei. „Die“, erzählt Kraetzer, „kannte ich bis dahin nur aus Bertolt Brechts „Happy End’“.

Reinhard Kraetzer sprach Rolf Metzger an, der damals Chef der Berliner Heilsarmee war: Ob es nicht möglich wäre, in Prenzlauer Berg eine Hilfestation zu eröffnen.

Rolf Metzger sagte zu und Reinhard Kraetzer besorgte die notwendigen Räumlichkeiten in der Naugarder Straße.
„Das hatte ich ganz unbürokratisch geregelt“, sagt Kraetzer und grinst dabei. „Da hab ich nicht mal die Bezirksverordnetenversammlung gefragt.“

Leiter des „Café Treffpunkt“, wie sich das im Januar 1991 zum Hilfsstützpunkt für Obdachlose und sozial benachteiligte eröffnete Ladenlokal nannte, wurde Siegfried Fischer.
Fischer, studierter Diplomverwaltungswirt, war bis dahin Beamter bei der Bundesknappschaft in Bochum. Sozial engagiert war er aber schon zu dieser Zeit, so etwa in der Arbeit mit Strafgefangenen. Dort lernte er auch Jo Scharwächter kennen, der einst damit Schlagzeilen machte, dass er sich von einem jungen Intensivtäter zu einem Pastor wandelte. Scharwächter nahm ihn zu einer Aktion der Heilsarmee in Berlin mit.

Siegfried und Angela Fischer 1991 vor dem Café in der Naugarder  Straße -  Foto: Privat

Siegfried und Angela Fischer 1991 vor dem Café in der Naugarder Straße – Foto: Privat

Hier schlug das Schicksal dann gleich zweimal zu: Zum einen lernte seine künftige Frau Angela kennen – und zum anderen trug ihm der Berliner Heilsarmee-Chef Rolf Metzger an, die zu eröffnende Prenzlauer Berger Dependance aufzubauen.
Siegfried Fischer sagte zweimal „Ja“ – einmal zur Anfrage, ob er nach nach Prenzlauer Berg gehen würde, und zum zweiten Mal vor dem Traualtar: Im Januar 1991, zeitgleich mit der Eröffnung des Sozialcafés, heirateten Angela und Siegfried. Heilsarmee und Happy End – das geht wohl auch ohne Brecht.

Doch das Sozialprojekt konnte nicht in der Naugarder Straße bleiben. Kurze nachdem das „Café Treffpunkt“ seine Türen öffnete, musste es auch schon wieder schließen.

Neuanfang in der Kugler 11: Erstmal entrümpeln - Foto: Privat

Neuanfang in der Kugler 11: Erstmal entrümpeln – Foto: Privat

Der Grund: Für das Haus lagen Rückgabeansprüche der Nachkommen früherer Eigentümer vor und die sahen – wohl zu recht – eine gewinnbringendere Möglichkeit für die Verwertung solcher Räume, als sie ausgerechnet eine Sozialstation für Obdachlose erbringen könnte.

Der Bezirk schaute sich nach anderen Räumlichkeiten um und fand sie in der Kuglerstraße 11 – in einem ehemaligen Beobachtungsstützpunkt der Stasi, wie Siegfried Fischer erzählt.
So eröffnete das am 22. Februar 1992 das „Café Treffpunkt“ zum zweiten Mal – und diesmal dauerhaft.

Anfangs, so Siegfried Fischer, waren die Gäste des Cafés vor allem Menschen, die der Umbruch im Osten aus der Bahn geworfen hatte und die mit den neuen Verhältnissen nicht mehr zurecht kamen.
Dazu kamen Menschen, die auf Grund der liberaleren Psychiatriegesetzen der Bundesrepublik ihr Leben nun nicht mehr in geschlossenen Einrichtungen verbringen mussten – die aber von der neu gewonnenen Freiheit überfordert waren.
 

Zahlreiche Untersützer

Neben den Mahlzeiten – die vor allem durch Spenden ermöglicht wurden – wurde vor allem Hilfe bei Behördengängen geleistet. Aber auch persönliche Gespräche zählen dazu, zum Mut machen oder einfach nur, um Trost zu spenden.

heilsarmeeHeute sind neben Angela und Siegfried Fischer im Café auch eine Sozialarbeiterin tätig und mehrere MAE-Kräfte – sogenannte „Ein-Euro-Jobber“, die hier nur für eine begrenzte Zeit arbeiten dürfen.

Daneben haben sich die Fischers ein Netzwerk aus Freunden und Unterstützern aufgebaut, ohne die die Arbeit kaum zu bewältigen wäre.
So gibt es einen Beraterkreis, dem unter anderem der damalige Sozialstadtrat und spätere Prenzlauer Berger Bürgermeister Reinhard Kraetzer und der journalist Klaus Strebe angehören.

essenWeitere regelmäßige Hilfe kommt zum Beispiel von einem Pankower Rewe-Markt, der das Café mit Lebensmitteln versorgt, vom CDU-Ortsverband Schönhauser Allee, der seit Jahren Skatturniere zugunsten der Heilsarmee veranstaltet; Mohammad Iqbal, Inhaber des Restaurants Goa II in der Gleimstraße, der einmal im Monat indische Spezialitäten aus seiner Küche auf die Tische Cafés bringt oder Roberto Klimsch der Direktor des „Maritim proArte“ Hotels am Bahnhof Friedrichstraße, der seit Jahren in seinem Haus für die Gäste des Cafés am Heiligabend gratis eine Weihnachtsfeier ausrichtet – mit all den erlesenen Menüs, die auf der Karte des Hotelrestaurants stehen.

 

Eine Wohnung für Jürgen

Manchmal helfen auch Politiker, etwa wenn sie in der Vorweihnachtszeit auf dem Markt am Kollwitzplatz an der Drehorgel kurbeln, auf dass das Geld für ein paar Festtagspräsente für die Cafégäste gekauft werden können.

Hoher Besuch zum 25jährigen Café-Bestehen:   Oberst Patrick Naud, Kommandeur der Heilsarmee für Deutschland, Polen und Litauen (links) und Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (rechts) Im gespräch mit Siegfried Fischer

Hoher Besuch zum 25jährigen Café-Bestehen: Oberst Patrick Naud, Heilsarmee-Kommandeur für Deutschland, Polen und Litauen (links) und Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (rechts) im Gespräch mit Siegfried Fischer

Doch zuweilen vergessen sie auch, dass das, was Angela und Siegfried Fischer und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort leisten, eigentlich eine öffentliche Aufgabe ist, die die Heilsarmee ihnen abnimmt.

Dann kann es schon mal passieren, dass die eh karg bemessenen Zuschüsse – wie beim Bezirkshaushalt für die Jahre 2012/13 wegen sparen und so – auch noch eingedampft werden.
Und Siegfried Fischer lieber auf die seit Jahren fällige Gehaltserhöhung verzichtet, als noch weiter am Budget für seine Gäste zu sparen.

Nachdem bei der Jubiläumsfeier der Bezirksbürgermeister eine Rede gehalten, die jetzige und die ehemaligen Sozialstadträte gesprochen, die Vizepräsidentin des Bundestages aus ihrem Buch vorgetragen hatten und die Grußbotschaften des Regierenden Bürgermeisters und des Sozialsenators verlesen wurden, kamen auch Gäste des Sozialcafés zu Wort.

jürgenEiner von ihnen ist Jürgen. Der weit über siebzig Jahre alte Mann ist seit Jahrzehnten obdachlos.
Er erzählte, wie sein Leben durch das „Café Treffpunkt“ wieder Sinn und Struktur bekam. Auch eine Freundin hat er jetzt, mit der er sich oft trifft. Nur eine Wohnung hat er noch immer nicht – er übernachtet nach wie vor in einer Obdachloseneinrichtung.

Ebenfalls bei der Feier anwesend war Torsten Kühne, dem als Stadtrat für Bürgerservice auch das bezirkliche Wohnungsamt untersteht. Vielleicht hat er ja den kurzen Bericht als Anregung zum Nachdenken darüber verstanden, wie Jürgen endlich auch wieder in eigene vier Wände einziehen kann.

Das wäre dann ja auch eine Art Happy End

 

 



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